Peter Stamm / Ulrike Almut Sandig / Zsófia Bán
34. Literaturgespräch: Kurzlesungen mit Gespräch
Das Literaturgespräch entfällt entsprechend der aktuellen Corona-Maßnahmen. Die Veranstaltungen werden nach Möglichkeit Anfang 2021 nachgeholt.
Peter Stamm: Wenn es dunkel wird
Moderation: Martin Bruch
„David hatte die Maske mitgenommen, obwohl er sicher war, dass er sie heute noch nicht brauchen würde, eine Eichhörnchenmaske, die den ganzen Kopf bedeckte.“ So beginnt „Nahtigal“, eine von elf neuen Erzählungen des großen Schweizer Schriftstellers. „Peter Stamm führt uns in ein virtuos konstruiertes Labyrinth, in dem wir uns glücklich verlieren“, begründet die Jury des Schweizer Buchpreises 2018 ihre Entscheidung für Stamms letzten Roman: „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ zeigt sich als vielschichtige Doppelgänger-Geschichte. Und auch im Erzählband „Wenn es dunkel wird“ (Fischer, 2020) ist nichts, wie es scheint.
Georg geht bald in Rente. Im Büro wird er schon nicht mehr beachtet, zu Hause wartet kein Essen auf ihn. Er scheint sich langsam aufzulösen und fühlt sich, als würde er schweben. Sabrina ist geschmeichelt, als ein Künstler sie anspricht, und dann erschrickt sie, als sie sich zum ersten Mal als Kunstwerk sieht. Was, wenn die ungeheuerliche Fantasie realer wäre als die Wirklichkeit?
In all seinen Büchern lotet Peter Stamm die Facetten menschlicher Existenz aus. Seine Figuren sind Versehrte und Fantasten. Seine Kurzgeschichten meisterhaft. Im neuen Band führen sie ins Unheimliche, erzählen von zärtlichem Grauen, abgründigem Schwindel und gespenstischer Liebe.
Ulrike Almut Sandig: Monster wie wir
Moderation: Annette Pehnt
Ruth spielt Geige und hat Angst vor Vampiren. Sie wächst in einem Pfarrhaus in der ostdeutschen Pampa auf. Aber Gott ist kein Parteisekretär, um dessen Schutz man buhlen könnte. Ihr bester Freund Viktor hat einen Mondglobus und Falten im Gesicht. Er fürchtet sich nur vor seinem Scheißschwager. Aber dann findet er diesen Schalter in seinem Kopf, um rein gar nichts zu empfinden. Und wird selbst zum Fürchten.
Was Gewalt bedeutet, wissen sie beide. Hier, wo der Braunkohleabbau ganze Dörfer und Wälder verschlingt, hilft man sich am besten selbst. Viktor macht jeden Tag Sit-ups und rasiert sich eine Glatze. Dass einer wie er als Au-Pair nach Frankreich geht, versteht niemand. Doch für Viktor ist es überall besser als zu Hause. Und Ruth? Die flüchtet sich ins Geigenspiel. Wohin es die beiden auch verschlägt, überall werden sie von Gewalt eingeholt. Wann also schaut Ruth von ihrer Geige auf? Und vor allem: Wie rettet man einander?
„Monster wie wir“ (Schöffling, 2020) ist der erste Roman der gefeierten Dichterin und Klangkünstlerin Ulrike Almut Sandig. In funkelnder Prosa voll harter Beats schildert sie ihre Generation, geprägt von Um- und Aufbruch, von Identitätsverlust und der Suche nach Selbstbestimmung.
Zsófia Bán: Weiter atmen
Moderation: Thomas Geiger
Franz Reichelt steht 1912 mit seinem selbstgebauten Fallschirm auf dem Eiffelturm und zögert, sein Atem wölkt sich in der Kälte, in den alten Schwarzweißaufnahmen „pulsieren Chemie und Kratzspuren wie dichter Schneefall“. Robika, der ein Siebtklässler wäre, wenn er eine Vorstellung von der Zeit hätte und in die Schule ginge, hat eine Obsession: Jede Woche sucht er sich im Laden von Mama Roza sieben weiße Seifen aus. Als der Laden einmal geschlossen ist, hat Robikas Mutter mit dem untröstlichen Kind einen Fahrradunfall und Robika muss geröntgt werden, eine Seife fest in jeder Hand.
Ob sie von einer gestrandeten Flüchtlingsfamilie erzählt, von Rimbaud und denen, die ihn erforschen, von Liebenden, Kranken, Kindern – Zsófia Bán gelingen in „Weiter atmen“ (Suhrkamp, 2020, aus dem Ungarischen von Terézia Mora) mit wenigen Sätzen Figuren, Bilder, innere Landschaften von ungekannter Tiefenschärfe.
„Was mich interessiert, ist die kleine Lücke zwischen der Abbildung und der Wirklichkeit dahinter“, sagt Zsófia Bán. Die 1957 in Rio de Janeiro geborene Autorin lebt heute in Budapest. Nach „Abendschule. Fibel für Erwachsene“ und „Als nur die Tiere lebten“ erschienen auf Deutsch die Essays „Der Sommer unsres Missvergnügens“.
Foto: © Marc Doradzillo
Datum: 07.11.2020, 15-18 Uhr
Ort: Historisches Kaufhaus, Münsterplatz 24
Eintritt: 5 Euro (für alle drei Lesungen)
Ausverkauft